Et maintenant: tous ensemble!

Ich betrete den Vorplatz der Musikschule und muss unwillkürlich schmunzeln. Durch das rechte Fenster kann ich vier Mädchen von 6 bis 12 Jahren beobachten, die zumindest fast kerzengerade auf den selbst bemalten Holzbänken sitzen, ihre Geigen entweder auf dem Schoß oder irgendwie zwischen Kinn und Schulter halten und konzentriert auf die 11jährige Ima schauen, die die Probe in die Hand genommen zu haben scheint. Sie schreitet in angemessenem Tempo durch den Raum, bestimmt, wer als nächstes spielen soll und bricht rigoros ab, wenn ein falscher Ton erklingt. Um ihre Worte zu unterstreichen, fuchtelt sie energisch mit ihrem Bogen durch die Luft – vielleicht dirigiert sie auch, das ist nicht so genau zu erkennen. 

 Gespielt wird Le poulet heureux- das glückliche Huhn, inspiriert durch das hauseigene poulet, dem die Kinder tagtäglich mal mehr, mal weniger geduldig erläutern, dass es nicht das Haus betreten darf, sondern als Huhn dazu bestimmt sei, draußen zu leben, was es entweder nicht versteht oder nicht verstehen will. Nach drei Tagen Unterricht mit meiner Anfängergruppe war dies das erste richtige Stück, das mit bunter Kreide und Zahlen an die Tafel geschrieben wurde – zuerst nur leere Saiten; kurz darauf können Florence und Roxanne schon eine zweite Stimme mit dem 1. Finger spielen. 

 

 

 

Ich bin verblüfft von der Schnelligkeit ihrer Auffassungsgabe und der nahezu perfektionierten Fähigkeit durch Zuschauen und Zuhören zu lernen. Das, gepaart mit einer nicht enden wollenden Motivation, macht das Unterrichten zu einer wunderbaren Aufgabe.

Natürlich gibt es Differenzen in der Gruppe; die einen lernen schneller, die anderen brauchen etwas mehr Zeit, aber es gibt kein Problem, das nicht nach ein paar Stunden effektiven Einzelunterrichts behoben werden könnte. Die Kinder sind unermüdlich und meistens bin ich es, die nach zwei Stunden Unterricht eine kurze Pause benötigt.

Eigentlich sollte der Ferienkurs für die Gruppe von montags bis freitags von 10:00-12:00 und von 14:00-16:00 stattfinden aber die Zeiten lösen sich schnell in ihre Bestandteile auf. Die Kinder sind ohnehin immer schon früher da und morgens noch fit für den Einzelunterricht, der sich auch gerne mal in die Mittagspause hineinzieht. 

Ist der Gruppenunterricht nachmittags beendet und ich brauche den Raum, um fortgeschrittene Schüler zu unterrichten, tragen Ima und Roxanne ihren Notenständer nach draußen, wo sie auf alten Autoreifen Platz nehmen und weiter üben.

Wenn sie nicht ab und zu auch mal etwas essen müssten, würden sie die Geige wahrscheinlich gar nicht aus der Hand legen.

Als die Kinder mich entdecken werde ich mit einem erfreuten Bonjour, tantie Laura! begrüßt und mir wird direkt ein Platz auf der Bank freigeräumt. Während ich die Geigen stimme, erläutert mir Ima die Problematik des poulet heureux: Laureen spielt immer zu langsam, Florence vergisst ihre zweite Stimme und verhält sich allgemein aufmüpfig und überhaupt c'est pas bon comme ça! Das müssen wir noch einmal einzeln üben, denn wir haben ja schon in zwei Wochen unser großes Abschlusskonzert, beschließt sie ernsthaft nickend und bei der Erwähnung des Konzerts bricht der ganze Haufen in aufgeregtes Gekicher aus, das aber durch Anwendung des Schweigefuchses, den ich hier in Ermangelung einer passenden Übersetzung silence sacré getauft habe, sofort wieder eingedämmt werden kann. 

Schon jetzt kann ich mir sicher sein, dass dieses Konzert ein voller Erfolg werden wird, so sehr stehen diese Kinder hinter dem, was sie tun und ich werde nicht enttäuscht. Wir schaffen es, fünf Stücke vorzubereiten, bei denen jeder mindestens einmal Solo spielen darf, Awa begleitet auf der Djembé, Ima singt ein Rasta-Lied ihres Vaters, Ruben, einer der fortgeschritteneren Geigenschüler, spielt Alla turca von Mozart nach nur zwei Wochen Übezeit und als krönender Abschluss werden sowohl traditionell burkinische Tänze als auch Klatschspiele und Walzer getanzt, den die Mädchen nach anfänglicher Skepsis gegenüber diesen so merkwürdig steifen Bewegungen schnell als danse classique bezeichneten und dann mit Begeisterung und wirbelnden, bunten Kleidern Pirouetten drehten.

Als die Sonne untergeht, um das Ende meiner Arbeit anzukündigen,bemerke ich etwas; einen kleinen Gedanken, der es sich seit dem Tag, als ich die Musikschule betreten habe in meinem Hinterkopf bequem gemacht hat und jetzt ein wenig schüchtern aber doch fest entschlossen zum Vorschein kommt. „Das hier ist nicht das Ende,“ flüstert er mir tröstend ins Ohr, „ denn das würde bedeuten, dass es vorbei ist. Aber das ist es nicht.“ Und nach einer kurzen Pause fügt er hinzu: „Weißt du, was das Schöne daran ist, zu gehen? Man hat immer die Möglichkeit, noch einmal wiederzukommen.“

 

- Laura Relitzki über ihren Geigenkurs in den Sommerferien